Mal was anderes

Samstag, der achte August 1992, kurz nach 20:00 Uhr. Langsam geht die Sonne über einem kleinen Dorf in Hertfordshire nördlich von London unter. Das Dorf heißt Knebworth.

Rund 500 km östlich sitze ich vor dem Fernseher. Premiere, der erste Pay-TV-Sender Deutschlands überträgt an diesem Abend in Konzert, live und unverschlüsselt. Ein Konzert der „The way we walk“-Tour der britischen Band Genesis. Mangels Equipment konnten wir damals nur eine Audio-Aufnahme auf Kassette ziehen. Und genau die ist mir ein paar Jahre später geklaut worden. Samt Autoradio und meinen anderen Kassetten, aber das waren im Vergleich nur Nebensächlichkeiten.

Fast dreißig Jahre später sitze ich im Block 204 der Köln-Arena. Es ist wieder ein Samstag, aber Mitte März. Knapp 14000 andere Menschen warten gemeinsam darauf, dass Genesis die Bühne betritt. Und gleich vorab: es tut in der Seele weh mit anzusehen, dass Phil Collins, ganz im Gegensatz zu seiner Version von vor 30 Jahren, als alter und kranker Mann, nur mit Hilfe die wenigen Stufen zur Bühne bewältigen kann

Tony Banks und Mike Rutherford haben gefühlt nur ihre Haarfarbe eingebüßt. Darryl Stuermer ist oben herum ein wenig lichter, unten herum dafür ein wenig fülliger geworden, und statt Chester Thompson sitzt Collins Sohn Nicholas an den Drums.

In gewisser Weise war es eine kleine Reise in die Vergangenheit. Die Party-Tricks bei denen Collins das Publikum zum Mitmachen animiert (Home by the sea und Domino) gab es schon vor dreißig Jahren (und mehr) und auch Collins kleiner Tambourin-Dance bei „I know what I like“ gehört dazu, wenngleich natürlich im Sitzen und deutlich reduzierter.

Das Drum-Duett, in Knebworth noch mit Chester Thompson, wäre zusammen mit Sohn Nic natürlich ein Highlight gewesen, aber aus bekannten Gründen unmöglich. Phil war leider nur noch zu ein paar „Luft-Drums“-Gesten in der Lage.

Zugegeben, akustisch war das Konzert kein Hochgenuss. Etwas übersteuert und sehr Schlagzeugbetont, mit enormer Lautstärke stand die Musik im krassen Gegensatz zu Collins brüchiger und kratziger Stimme. Auch der eine oder andere Texthänger amüsierte ihn eher, als dass es ihn störte. Aber ganz ehrlich: es war mir egal. Oder vielmehr war mir von vorne herein klar, dass ich nicht zuviel erwarten konnte. Es ging mir auch nicht unbedingt um ein akustisches Erlebnis (ab etwa der Mitte wurde es etwas besser), sondern eher darum, Genesis wenigstens einmal live zu erleben. Zumal es höchstwahrscheinlich die letzte Chance dazu war, auch wenn der Titel der Tour „The last domino“ mit einem Fragezeichen endet. Rutherford und Banks könnten vermutlich noch eine Weile weitermachen, aber ohne Phil Collins würde etwas fehlen.

Tatsächlich ärgere ich mich, dass ich keines der anderen Konzerte seit Knebworth ´92 besucht habe. Weder Genesis noch Phil Collins. Aber ich bin nicht enttäuscht, eher froh wenigsten dieses Konzert nicht verpasst zu haben.

 

Passenderweise war das Finale mit tausenden von Lichtern zu „Carpet Crawlers“ doch schon sehr emotional. Ehrlich gesagt hatte ich schon bei „Land of Confusion“ einen Kloß im Hals, was nicht nur an der derzeitigen weltpolitische Lage liegt, die Phil Collins nicht unerwähnt lassen konnte.

Und wenn ich mich an die „gute alte Zeit“ erinnern möchte, bleibt mir immer noch ein DVD-Mitschnitt des ´92er Konzerts.