Nein, es geht nicht um Kegeln, auch wenn man den Ort um den es geht mit „Gut Holz“ übersetzen könnte. Aber es geht definitiv nicht um das Umschubsen von Kegeln mit einer Kugel.
Stattdessen geht es um einen ehemaligen RAF-Flugplatz in Südengland nahe Chichester, auf dem – oder besser um den herum – 1948 eine augenscheinlich einfache, aber sauschnelle Rennstrecke gebaut wurde: Goodwood.
Tatsächlich fand hier 1962 ein (nicht zur Weltmeisterschaft gehörender) Formel 1 Lauf statt, der Stirling Moss die Karriere und fast das Leben kostete. 1966 wurde der Rennbetrieb dann auch wegen mangelnder Sicherheit eingestellt und allenfalls für Testfahrten genutzt, was wiederum Bruce McLaren 1970 zum Verhängnis wurde, als sich die Heckverkleidung seines M8D löste und er mit rund 200km/h in einen gemauerten Unterstand am Streckenrand prallte.
Die Familie in deren Besitz sich die Strecke und das nahe gelegene Goodwood-House befinden, allen voran der 11. Duke of Richmond (des Rest seines offiziellen Titels spare ich mir jetzt), hat sich aber Anfang der 90er auf die Traditionen zurückbesonnen. Zuerst mit dem Festival of Speed, dann Ende der 90er mit dem Revival. Mitglieder des Goodwood Road Racing Clubs drängten aber auf eine Wiedereinführung des Members Meetings, dem traditionellen Season Opener, und so wurde 2014 auch dieses wiederbelebt.
Wirklich erfahren habe ich erst in 2019. Tatsächlich ist das MM mehr oder weniger das einzige Event, welches wir als Familie besuchen können, da es tendenziell in den Osterferien liegt. FoS und Revival liegen im Regelfall ausserhalb der Ferienzeiten.
Allerdings kann man nicht einfach so eine Eintrittskarte erwerben. Man muss entweder Member des GRRC sein, oder eine Fellowship käuflich erwerben, was ich dann auch im Herbst 2019 getan habe. Im Gegenzug bekommt man dafür jährlich ein kleines Paket mit einem (hochwertigen) Anstecker, diversen Aufklebern und gedruckten Newslettern, von denen noch ein paar über das Jahr verteilt folgen. Zudem hat man über die Homepage Zugriff auf die Videos der vergangenen Events etc.
Der erste Versuch das MM in 2020 zu besuchen ist aber leider gleich grandios gescheitert. Die Tickets hatte ich zwar schon bestellt, aber zuerst kam eine Terminverschiebung wegen des anstehenden F1-GP in Vietnam dazwischen, dann kam Covid (weshalb der Vietnam-GP gar nicht erst stattgefunden hat).
Das 78th MM wurde dann zigfach verschoben und fand schließlich erst im Oktober 2021 statt, was aber zeitlich auch wieder nicht gepasst hätte.
Aber 2022 sollte es endlich soweit sein und wir konnten unsere Reise in Richtung England starten. Dank frühem Start konnte wir sogar eine frühere Fähre nehmen als gebucht und waren dann irgendwann gegen 18:30 an unserem B&B in Fontwell angekommen. Eigentlich hätten wir früher da sein können, aber die Autobahn von London in Richtung Dover war zu der Zeit ein einziger LKW-Parkplatz, was auch auf unserer Seite zu Verzögerungen führte. Ausserdem hat Henrys Navi eine scheinbar wirre Route gewählte. Wir wurden aber trotzdem herzlich mit Kaffee und Kuchen empfangen und Sohnemann konnte noch etwas mit dem Hund unserer Gastgeber spielen. Da wir am kommenden Morgen aber früh rauswollten sind wir zeitig schlafen gegangen.
Samstags sind wir dann kurz vor 7:00 in Richtung Strecke aufgebrochen, die wir aber in kaum 15 Minuten erreichen konnten. Parkplätze waren reichlich vorhanden und wir waren noch recht weit vorne in der Schlange vor dem Eingang. Sohnemann hatte nun auch endlich erfahren, wo wir waren. Bis hierher hatten wir das Ziel unserer Reise geheim gehalten. Punkt 07:30 ging es dann, nach Abscannen der Eintrittskarten auf die Strecke. Und zwar wortwörtlich. Zu Beginn des Tages geht man einfach über die Strecke ins Fahrerlager. Und noch kurz zur „Eintrittskarte“: das ist kein profanes Stück Papier, sondern ein metallener Anhänger an einer Kordel mit dem 78thMM-Logo.
Aber, wer die Briten kennt: sowas gehört einfach dazu. Wenn Briten solche Events ausrichten, dann mit Stil. Dazu gehört auch, dass man im Fahrerlager keinen einzigen Transporter sieht. Die Rennautos stehen in Unterständen und offenen Boxen, nicht in geschlossenen Boxenanlagen.
Eine ordinäre Frittenbude für den Mittagssnack? Behold! In der Great Hall (die ein wenig so aussieht wie die große Halle bei Harry Potter, ansonsten aber in einem Gebäude des Flugplatzes untergebracht ist, gibt es full English breakfast. Im Members Market in einem der Hangars, gibt es neben Steak und Burgern auch thailändisches oder vietnamesisches Essen und im Daffodil kann man auf Strohballen sitzend einen kleinen Imbiss einnehmen. Wer es opulenter mag kann einen Tisch im Bill Wisdom buchen.
Gleich neben dem Fahrerlager ist dazu noch ein kleiner Rummel aufgebaut, der im Übrigen keinen Eintritt kostet.
Und das Publikum spielt im Regelfall auch mit. Tweedjacken und -anzüge oder Wachsjacken sind ebenso an der Tagesordnung wie Hüte und Flatcaps. Jeans und Basecaps sind eher die Ausnahme, wobei es immer mal optische Ausfälle gibt, aber das nur am Rande.
Die Rennen selber sind tatsächlich vergleichbar mit dem, was man vom Kontinent kennt, aber doch wieder ein wenig anders. Man sieht einige Fahrzeuge, die man sonst selten bis gar nicht zu Gesicht bekommt. Zum Beispiel je ein Ferrari 250 LM und ein 64er GTO (wenngleich beides wohl Recreations sind, was aber auch auf diverse andere Fahrzeuge zutreffen dürfte). Dazu tummeln sich etliche Jaguar C- und D-Types, Horden von Ford GT40 und AC Cobra, Alfa 8C Monza balgen sich mit Bugatti 35B und die kettengetriebenen Frazer Nash bekommen einen eigenen Lauf. Anders ist irgendwie die Gerry Marshall Trophy für Tourenwagen der 70er und 80er, die von Mini 1275 GT und Ford Fiesta über BMW 530i und Ford Capri bis zu Ford Mustang und Chevrolet Camaro so einiges aufbietet. Und tatsächlich war die Truppe die gefühlt lauteste des ganzen Wochenendes. Gegen das wütende Gebrüll eines VW Scirocco erschienen selbst die F1-Autos aus der V10-Ära (mit einigen Cosworth V8 dazwischen) kaum an. Und nochmal anders sind die Autos des Sopwith Cup, in dem winzige Austin A35 und Nash Metropolitan mit Jaguar MK VII und Cadillac Coupe aufeinander treffen.
Und rund 20 Porsche 956 und 962C in der Dämmerung um die Strecke fahren zu sehen, wenn auch nur als Demo-Lauf, hat schon etwas sehr Erhebendes an sich.
Neben der automobilen stellt sich auch die fahrerische Prominenz ein. Jochen Maass, als Housecaptain von Darnley (dazu gleich mehr) gehört quasi schon zum Inventar. Dazu kommen dann aber auch noch Größen wie Derek Bell, Steve Soper, Jason Plato oder Bruno Senna. Und etliche andere noch dazu. Im Übrigen ist uns Richard Hammond über den Weg gelaufen, was Sohnemann dann gleich ein Erinnerungsfoto eingebracht hat.
Der Samstag endet mit einer Party die ihren Abschluss mit einem Feuerwerk um 21:30 Uhr findet. Das haben wir uns, nach ein paar Runden Kettenkarussell und Riesenrad, aber doch gespart. Es war einfach nur zu kalt. Obwohl wir irgendwas knapp unter 10° hatten, waren wir ordentlich durchgefroren und wollten dann doch zurück ins B&B.
Der Sonntag ist dann Raceday. Am Samstag finden fast nur Trainingsläufe statt und so geht es dann Sonntags eher zur Sache und man hat die Gelegenheit fast alle Autos nochmal auf der Strecke zu sehen. Wer sich ansonsten zerstreuen möchte kann an einem der Spiele teilnehmen. Da ist dann auch alles dabei: Vier-gewinnt, Jenga, Axtwerfen, Tauziehen und, im hinteren Bereich der Stecke in der Levant Corner, Frettchen-Rennen und Enten hüten. Sowas gibt es auch nur in England, hier hätte man gleich den Tierschutz am Hals. Damit kann man dann Punkte für sein Haus sammeln. Man wird schon mit den Tickets einem von vier Häusern (Aubigny, Darnley, Methuen und Torbolton) zugeteilt und kann dann, wenn man möchte, den ganzen Tag über Punkte sammeln. Mit den Fahrern passiert das gleiche, je nach Ergebnis im Rennen.
Traurigerweise kam es genau zu dem Zeitpunkt als wir vom Enten hüten zurückkamen, zu einem Unfall in Saint Marys. Ein Frazer Nash war beim Rennen der A.F.P. Faine Trophy von der Strecke abgekommen und hat sich anschließen überschlagen. Wir sind gerade in dem Moment den Hang zur Strecke hochgekommen und ich habe nur noch Räder und Erde fliegen sehen.
Da der Pilot erst an der Strecke behandelt wurde und anschließend per Rettungshubschrauber abtransportiert werden musste, kam es zu einer etwa einstündigen Unterbrechung, was den anschließenden Rennbetrieb entsprechend etwas eingedampft hat. Glücklicherweise hat der Fahrer im Übrigen überlebt, wenn auch mit gebrochenem Brustbein und mehreren Rippenbrüchen.
Nach dem letzten Rennen der Gerry Marshall Trophy war das Event dann auch, abgesehen von den Siegerehrungen, vorbei und wir haben uns wieder in Richtung B&B begeben.
Zwei Tage später sind wir dann aber nochmal zur Strecke zurück. Zum einen für ein Abschiedsfoto, zum Anderen um noch einmal im Shop zwei Kaffeebecher zu erwerben. Wir waren ein paar Minuten zu früh und sind per Zufall der Verkäuferin über den Weg gelaufen, bei der wir schon beim Event etwas gekauft hatten. Lustigerweise hat sie uns gleich wieder erkannt.
Mal sehen, ob sie uns auch wiedererkannt, wenn wir das nächste Mal nach Goodwood fahren.
Hier und hier gibt es noch ein paar Fotos.